Bürgermeisterwahl in Epfenbach, 2023
Am Donnerstag, dem 1.12.2022 saß der Revierförster Markus Groß nachmittags mit mir im Wintergarten um über seine Kandidatur als Bürgermeister im folgenden März zu sprechen.
Guntram Zimmermann hatte ihm das geraten. Guntram war 24 Jahre lang Bürgermeister in Spechbach gewesen. In dieser Zeit betrieb ich die Linux-Server im Spechbacher Rathaus und die Website, gestaltete Ortsschilder und war andauernd mit der Gitarre irgendwo.
Markus, den Förster traf ich im Rathaus, im Wald am Vatertag, beim MC Epfenbach, auf Kerwe, als Sonnenwirt… andauernd. Wir drei kannten und schätzten uns gut, nach einem viertel Jahrhundert.
Ob er jemanden wüsste, der Flyer machen kann, hatte Markus gefragt.
Genau darauf hatte ich „gewartet“, im Sinne eines Zen-Bogenschützen, der den Moment, wo „es schießt“ zulässt. Das zu verstehen hilft Zen in der Kunst der Bogenschießens" von Eugen Herrigel.
Im vergangenen März hatte ich meinen Job gekündigt. Einen prima Job, der genau zu mir gepasst hatte. Ich durfte mich mit Naturwissenschaften und mit Werbung befassen. Ich war in Schulen, Universitäten und auf Messen unterwegs und habe brillante Menschen kennen gelernt. Jetzt war ich 60 und hatte das Gefühl, es wäre Zeit, mich der Kunst zu widmen. Außerdem galten noch immer krasse Corona-Regeln, die mir meine Reisetätigkeit ein wenig verleidet hatten. Ich war ungeimpft und galt als Volksfeind. Ich fing an "Moss" zu schreiben; Endlich ein Buch fertig machen.
Als es im August fertig war, hätte die gedruckte Ausgabe 57 Seiten gehabt. Damit hätte ich im Selbstverlag mit Print-On-Demand Plattformen zwei Euro pro verkauftem Exemplar verdienen können. Da war nicht viel zu erwarten. Mir ging es doch gar nicht um Geld. Ich wollte schreiben, so wie ich Gitarrensoli spiele. Was zählt ist der schöpferische Akt an sich. Der wird geadelt im Scheinwerferlicht auf der Bühne.
So schrieb ich die Künstlerschutzerklärung und arbeitet an meiner Bühne: Ein Wiki namens phritz.de.
Markus kam mit einer handbeschriebenen A4-Seite als Konzept für seine Kandidatur. Wir redeten drei Stunden lang. Danach fühlte ich mich zum Wahlkampfbüro berufen und nahm die Aufgabe mit dem mir eigenen Enthusiasmus an.
Die Handschrift blieb bei mir. 10 Tage später gab es unser anfängliches Konzept, das ich als Rede, die nie einer halten würde, formuliert habe.
initiales_konzept_als_rede_.pdf (10.12.2022)
Aus „Markus Groß, Epfenbach“ machten wir Grossepfenbach als unterschwellige, dabei schön einprägsame Werbebotschaft.
https://www.grossepfenbach.de war auch noch zu haben. Ich habe einen Wiki-Server installiert, den wir intern sofort zur Koordination benutzt haben. Markus, der als Revierförster reichlich zu tun hatte, konnte mit bei der Arbeit zusehen und war selbst im Wald mit seinem Handy immer auf aktuellem Stand.
Seine Bewerbung hat Markus kurz nach Beginn der Bewerbungsfrist, mitten in der Nacht eingeworfen.
Am 29. Januar war das Licht gut genug für Detlev Nobest. Zwei seiner 21 Photos wurden zur Basis aller folgenden Werbung:
Die initiale Wahlwerbung sollte es eine Postkarte sein, unaufdringlich, kurz mit angenehmer Haptik - anstatt eines mehrseitigen Flyers.
Für die näheren Informationen, vor Allem das Wahlprogramm, verwiesen wir von Anfang an auf das Wiki, wo von Anfang an Kommentare möglich und erwünscht waren.
(Ich mache solche Grafiken mit The Gimp unter Linux.)
Eintausend Stück sollten langen, dachten wir und und mussten am 23.02 nachbestellen.
Markus hatte inzwischen jeden der über 800 Haushalte in Epfenbach persönlich besucht und die Karte überreicht oder eingeworfen.
Die unkonventionelle Website, das Wiki, wurde bestaunt. Wer es verstand, feierte es. Anderen fehlte es an optischen Reizen. Die Kommentarfunktion wurde, ganz entgegen unserer Befürchtungen, sehr konstruktiv genutzt. Nur beim Thema „Windkraft“, von Eiferern entdeckt und missbraucht, schalteten wir die Kommentarfunktion ab.
Inzwischen mehrten sich die Beschwerden, die Seite wäre im Internet nicht zu finden. Was für den Wahlkampf ungünstig erscheint, ist in Wirklichkeit ein Markenzeichen und Alleinstellungsmerkmal für meine https://www.nix-server.de. Wer Google mit „dem Internet“ verwechselt, hat leider Pech gehabt.
Wahlplakate brauchten wir auch:
Die 30 Plakate hingen schon, da stellte sich heraus, dass, laut Verordnung, auf Wahlplakaten Adresse und Telefonnummer sichtbar sein müssen. Das hatten wir, wie die anderen Kandidaten auch, übersehen. Wir bedruckten mit dem Farblaser sehr teure Outdoor-Etiketten um das zu beheben.
Inzwischen gab es vier weiter Bewerber um das Amt des Bürgermeisters:
Der Wahlkampf in vollem Gange und Mittwochs, am 1. März hatte jeder Kandidat vor über 600 Leuten in der überfüllten Halle 45 Minuten Zeit, sich vorzustellen. Markus' Vorstellungsrede hatten wir in einem kontinuierlichen Prozess gefeilt und sie enthielt noch immer Elemente aus meiner initialen Dezember-Fantasie.
Nach der Kandidatenvorstellung war sich der dörfliche Dschungelfunk über Epfenbach hinaus einig, es würde zwischen Wasow und Groß ausgehen.
„Bürgerbeteiligung“ hatte Wasow zu seinem zentralen Wahlkampfthema gemacht und auf einer gut gemeinten, doppelseitigen Propaganda-Postkarte Felder zum Ankreuzen angeboten. Dazu die Digitalisierung… das traut man doch einem jungen Bewerber eher zu als z.B. einem Förster.
Nur, der Förster hat das schon!
Diese Karte spielten wir jetzt. Schon in der Vorstellungsrede hatten Anliegen, aus den Wiki-Kommentaren Berücksichtigung gefunden. Die Vorstellungsrede selbst konnte man am Tag danach auf grossepfenbach.de nachlesen.
Unser gefühltes Problem war, dass es kein gedrucktes Wahlprogramm, außer der Postkarte gab. Wer mit Internet nichts zu tun hatte, eine wichtige Zielgruppe für den alten Förster, war möglicherweise schlecht informiert.
Nach der überfüllten Halle schien ein klassischer Flyer mit Eyecatchern und Stichpunkten nicht mehr wirksam. Wir verfassten statt dessen einen Wahlaufruf, ließen den mit Overnight- und Samstagszuschlag drucken. Markus brauchte das ganze Wochenende um, wie schon mit der Postkarte, allen Haushalten diesen Aufruf persönlich zuzustellen.
Mit dem Ergebnis der Wahl am 12. März waren wir nicht zufrieden:
Schon der amtierende Bürgermeister, Bösenecker, war vor 16 Jahren als Externer ins Amt gewählt worden. Man war mit seiner Arbeit nicht sonderlich zufrieden. Jetzt schon wieder einer?
Alle anderen Kandidaten, alles Epfenbacher, verzichteten auf ihre Kandiatur und sprachen sich öffentlich für Markus aus. Außerdem gab es rund 600 Nichtwähler. Wir rechneten uns durchaus Chancen für die Stichwahl aus. Zusammenhalt sollte jetzt unser Argument sein:
Wir sollten unsere „Trumpfkarte“ spielen, dachte ich mir und entwarf eine im Format einer großen Visitenkarte. Mit einer Auflage von 5000 wollten wir das Dorf fluten. Der Akt der Übergabe würde wirksam sein, dachten wir; wenn ein Epfenbach dem anderen Epfenbach die Trumpfkarte, auch ein Epfenbacher, übergibt.
Tatsächlich fand die Trumpfkarte einige Beachtung und verbreitete sich im Dorf. In der Woche vor der Wahl schalteten wir noch eine viertelseitige Anzeige im Epfenbacher Amtsblatt:
Auf eigene Faust, ohne das Markus davon wusste, habe ich noch einen Guerilla-Aufkleber entworfen. Als offizielles Medium in einem Wahlkampf, geht der nicht durch, dachte ich mir. Der Aufkleber war sehr leicht ablösbar. Ich wollte keine Sachbeschädigung riskieren. Ich bin selbst mit dem Mofa durch „Epflbach“ gefahren und habe einige angebracht. Die übrigen 950 habe ich einem verblüfften Herrn Wipfler in seine Autowerkstatt gebracht. Ein guter Freund und herzhafter Unterstützer von Markus.
„Lieber einen Epfenbacher“ liest sich das in der Dorfsprache.
Wir haben die Wahl verloren! Ziemlich genau 40:60.
Der Grund dafür ist vermutlich Markus' Frau, die den Wahlkampfes nicht begleitet hat, wie das sonst gängig wäre. Im Jahr 2015 hatte man sie des Menschenhandels verdächtigt und dann für über 3 Jahre eingesperrt. Das war in den Köpfen noch präsent und man findet noch immer Dokumente wenn man nach „Darsberg Menschenhandel“ googelt.
Tatsächlich wurde sie wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Nur wegen Steuerhinterziehung! Markus hat das offen kommuniziert, mit jedem der gewagt hat danach zu fragen. Viele waren das nicht.
Jetzt bleibt Markus Groß Revierförster in „seinem“ Wald. Sein neuer Chef ist ein junger Mann aus Brühl, den wir, entgegen vieler leidenschaftlicher Empfehlung, im Wahlkampf immer mit Respekt behandelt haben.
Es ist immer Alles für irgendetwas gut … Pascal Wasow kennt die Zustimmung, die Markus im Dorf erfahren hat. Er hat jetzt die Gelegenheit, das zum Wohl des Dorfes einzusetzen. Gut bezahlte Beamte sind sie beide ;)
Ich wünsche Epfenbach das Beste.